Friday, March 09, 2007

nichts 0.4

Noch schöner das poetische Bild, das Heidegger mit einem wundersamen Vers seines mystischen Gewährsmannes Angelus Silesius für den "Grund als das Sein" und das "Sein als Grund" (S. v. Grd. 102) gegeben hat. "Ohne Warum" ist es überschrieben: "Die Ros ist ohn warum; sie blühet,/weil sie blühet/Sie achtet nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet" (S. v. Gr. 68f.). Die selbst- und weltvergessene Schönheit der "rosa mystica" entzieht sich jeder berechnend-begründenden Logik. [...]
Gegen die Begründung der Seinsrose in sich selbst, mag sie auch noch so tautologisch und zirkulär sein, ist nicht bloß schwer zu argumentieren. Dagegen will man gar nicht argumentieren. Ja, blüht sie nicht um so schöner, als sie gerade auf dem grundlosen Grunde des Nichts erblüht? Meister Eckhart hat schon vor Angelus Silesius die mystisch-vitalistsiche Konequenz gezogen: "Würdest du das Leben fragen, warum lebest du, es könnte nicht anders antworten als: ich lebe darum, daß ich lebe." [...]
Aber das schlichtschöne, sich von selber verstehende Bild der Seinsrose ist wie das Spielen des Spiels als ontologisches Modell nur begrenzt tauglich. Die Seinsrose blüht auch unter den günstigsten Umständen nicht bloß - sie welkt auch, and mancher Seinsblüte nagt gar der Wurm. Und das Sein des Seinenden ist genausowenig wie eine kalkulatorische Machenschaft ein fragloses Naturgeschick. Gewiß, wenn es ist, ist es. Aber es ist nicht einfach weil es ist, "es blüht nicht, weil es blühet". Vielmehr ist es, wenn es ist, weil es sein will oder sein soll und nicht nicht. Und im Gegensatz zu Meister Eckhart kann das Leben sehr wohl auf andere Weise als mit dem Leben antworten.

Lütkehaus, Ludger. Nichts. Haffmans/Zweitausendeins 2003, 422 f.

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